Giesing war früher mal ein Arbeiterviertel. Mittlerweile ziehen immer mehr junge Menschen und Familien in den Stadtteil. Seinen traditionellen Charme hat Giesing zum Glück trotzdem behalten: Alte Handwerkshäuschen stehen hier noch und urige Brauereien. Der Schlagersänger Patrick Lindner zeigt uns auf einem Spaziergang durch sein Viertel die schönsten Plätze.
Entlang der Grünwalder Straße und der Tegernseer Landstraße schlägt das Herz von Giesing. Hier steht seit 1911 das Grünwalder Stadion, die Heimat des TSV 1860 München. Ein grauer Betonklotz mit Platz für 15.000 Menschen, von denen die meisten nass werden, wenn es mal regnet.
Eher ein Bolzplatz als eine Fußballarena. Trotzdem halten die Einheimischen diesen Ort in Ehren wie einen Tempel. Für sie ist es ein Andenken an die goldenen Tage in den 1960er-Jahren, als die Löwen noch eine Spitzenmannschaft waren und Deutscher Meister wurden. Wenn es keine Tickets mehr gab, hockten die Leute auf den Dächern der anliegenden Häuser, um die Spiele zu sehen.
„Als ich ein Bub war, hat mein Vater mich das erste Mal ins Stadion mitgenommen. Das fand ich unheimlich aufregend“, erzählt Patrick Lindner und blickt auf die altehrwürdigen Mauern. Heute kickt der Verein in der dritten Liga. Lindner schaut sich die Spiele trotzdem noch gerne an. Der Schlagersänger wohnt gleich gegenüber, auf der anderen Straßenseite, und blickt von seinem Balkon direkt aufs Spielfeld. „Wir haben zwei riesige Banner, die hängen am Spieltag die Hauswand runter. Wenn der Mannschaftsbus um die Ecke biegt, sehen die Spieler: Ah, der Lindner guckt auch zu“, sagt der Lindner und lacht.
Gemeinsam mit seinem Ehemann wohnt er seit drei Jahren hier. Aufgewachsen ist er in Sendling, später hat er in Schwabing, Grünwald und noch mal in Obersendling gelebt. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal in Giesing wohnen würde. Aber ich habe mich in diesen Stadtteil verliebt. Giesing hat für mich Kultcharakter, weil man darauf achtet, dass traditionelle Bauten erhalten bleiben.“
Zum Beispiel die Feldmüllersiedlung, die 800 Meter vom Stadion entfernt liegt. Hier stehen noch alte Handwerkshäuschen aus dem 19. Jahrhundert. Einstöckige Häuser mit niedrigen Decken und winzigen Wohnungen über Handwerksbetrieben, zwischen denen sich schmale Gassen schlängeln. „So was gibt’s in München sonst nirgends mehr“, sagt Lindner. „Vor ganz vielen Jahren hab’ ich hier ,Pumuckl und sein Zirkusabenteuerʻ gedreht. In den Drehpausen saßen die Erni Singerl und ich dann immer im Wohnzimmer von einem dieser Häuschen und haben darauf gewartet, dass wir wieder dran waren. Das war schon speziell.“
Zehn Fußminuten von den Handwerkshäuschen entfernt steht das Giesinger Bräu, eine traditionelle Braustube. Ein junger Mann kommt uns mit einem Kasten Bier entgegen. „Das ist eben auch typisch für Giesing. Hier kann man sich sein Biertragerl noch bei der Brauerei abholen“, sagt Lindner. Vor knapp 15 Jahren brauten die Eigentümer ihr Bier in einer Garage in einem Giesinger Hinterhof. Als der Platz zu klein wurde, zogen sie hier in das Gebäude an die Martin-Luther-Straße, bis es auch da zu eng wurde.
Die Hauptanlage steht deshalb jetzt in Milbertshofen. Die Spezialbiere werden aber immer noch hier im oberen Stockwerk gebraut. Im Erdgeschoss darunter befindet sich eine Schänke mit rustikalen Stehtischen aus Holz und einer kleinen Bühne am Rand, auf der Patrick Lindner auch schon aufgetreten ist. „Wenn ich von einer Konzertreise zurückkomme, trinke ich hier ein Bier, esse einen Schweinsbraten und weiß: Ich bin dahoam.“ Leider hat die Küche jetzt zu. Patrick Lindner hat übrigens fünf Jahre im Bayerischen Hof als Koch gearbeitet, bevor ihm 1989 der Durchbruch als Schlagersänger gelang (beim Grand Prix der Volksmusik). Deshalb glauben wir ihm, wenn er sagt: Das Essen ist ausgezeichnet.
Wer lieber etwas anspruchsvollere Küche mag, so Lindners Empfehlung, geht in die Zehentbauernstraße. Dort kocht Sternekoch Florian Berger in seinem Restaurant Gabelspiel und serviert den Gästen Gambas und Kalbszunge auf höchstem Niveau. Das 7-Gänge-Menü kostet 145 Euro. Hinten gibt es einen Garten, wo man bei trockenem Wetter draußen sitzen kann. „Du hast hier alle Möglichkeiten. Hier sitzt du im Giesinger bei Bier und Schweinsbraten und hundert Meter weiter hast du ein Sternelokal.“
Nach 500 Metern stehen wir plötzlich auf einem Kiesplatz von der Größe eines Schulhofs, gespickt mit schattenspendenden Bäumen. Der Grünspitz. Früher war hier ein Autohändler. „Heute ist das ein öffentlicher Platz, den die Bewohner selbst gestalten dürfen. Manche haben Pflanzen angepflanzt und andere haben Sitzgelegenheiten hergebracht. Es gibt einen Kiosk und gerade im Sommer am Abend ist das ein beliebter Treffpunkt“, sagt Lindner und deutet auf eine gelbe Telefonzelle am Rand des Geländes. „Und das ist die Zeitmaschine.“
Äh, wie bitte?
Im Inneren der Kabine befindet sich ein kleiner Monitor, auf dem eine Dame zu sehen ist, die in die Kamera spricht. „Hier erzählen Giesinger Geschichten aus ihrem Viertel und was den Stadtteil auszeichnet“, erzählt Lindner. Er kam leider selbst noch nicht dazu, sich den Film anzuschauen, hat sich aber fest vorgenommen, das bald nachzuholen.
Am Grünspitz vorbei führt die Tegernseer Landstraße bis zum Ostfriedhof, wo auch Lindners Mutter begraben liegt. Eine viel befahrene Schnellstraße, die auf den ersten Blick so charmant wirkt wie ein Kernkraftwerk. „Hier gibt es ganz viele kleine spezielle Geschäfte, die man in anderen Stadtteilen gar nicht mehr findet“, sagt Lindner. Wie zum Beispiel den türkischen Gemüsemarkt „Orkans Markt“, die Tela-Bäckerei oder die Giesinger Käse-Alm. „Die haben die besten Käsespezialitäten“, sagt Lindner. „Wenn man wirklich guten Käse kaufen möchte, geht man hierhin.“
Bevor wir uns verabschieden, müssen wir noch eine wichtige Frage klären: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Ober- und Untergiesing? Patrick Lindner guckt ein bisschen ratlos. „Also ich würde sagen, Obergiesing ist das richtige Giesing. Hier sind ja die ganzen Punkte, die diesen Stadtteil auszeichnen. Sag ich jetzt mal so, aus meiner Unerfahrenheit heraus.“
Er lacht. Die Untergiesinger werden es ihm sicherlich nachsehen.